Exerzier-und Schießkursus auf den Artillerie-Schulschiffen "SMS Renown" und "SMS Mars"

1. SMS Renown

Am 29. Oktbr.1880 wurde ich an Bord des Artillerie-Schulschiffs "Renown" kommandirt um einen Exerzier- und Schießkursus mit zu machen. Die Renown war ein alter hölzerner Dreidecker, hatte auch keine Maschine, mußte wenn im Frühjahr das Schießen anfing, geschleppt werden, sonst lag er stets bei den Kohlenschuppen. Armirt war er an Backbordseite mit 6 gezogenen Gußstahl- geschützen, zwei 15 cmtr. zwei 17 cmtr. ein 21 cmtr. und ein 24 cmtr. Geschütz. An Steuerbord standen 6 Kanonen, meist Vorderlader ältesten Systems, mit den primitivsten Rücklaufbremsen versehen und wurden wir auch mit der Handhabung derselben bekannt gemacht, geschossen wurde mit diesen nicht. Außer einem kleinen Stammbesatz, bekam die Renown während des Winterhalbjahrs alle sechs Wochen wechselnd andere Mannschaften aus Kiel und Wilhelmshafen, sowie Seekadetten und Schiffsjungen an Bord um einen Exerzierkursus zu absolviren. Diese bildeten eine erste, zweite und dritte Exerzier-Division, ich gehörte zur zweiten. Der Dienst bestand ausschließlich in artilleristischer Ausbildung und Instruktion, verbunden mit Zielübungen. Es gab stets frische Kost und hatte man keine Wache, so gab es stets bis Zapfenstreich Urlaub. Als mein Kursus zu Ende war, wurde ich mit für den im Frühjahr stattfindenden Schießkursus bestimmt und blieb an Bord.

2. SMS Mars

 

In der Zeit bis Ende März 1881 hatten wir, die zum Schießkursus bestimmten Leute, alles Obermatrosen, bei jeder der drei Exerzierdivisionen 20 - 25 Mann, welche den Namen Geschützführer-Aspiranten bekamen, hauptsächlich Dienst in Zielübungen. Dann wurden wir noch im Laboratorium mit Füllen von Geschossen und Kartuschen anfertigen, beschäftigt. Die Renown sollte dieses Jahr keinen Schießkursus mehr mitmachen, da sein Ersatz, ein erst neu gebautes, besser eingerichtetes und mit Dampfmaschiene, sowie Propeller versehenes Schiff, der "Mars" fertig war, welcher Mitte März nach Wilhelmshafen kam. Sämmtliche Geschütze und Inventar vom Renown wurde nach dem Mars gebracht. Am 31. März stellten wir die Renown außer Dienst und am 1. April die Mars in Dienst, welcher dann an die Kohlenschuppen holte. Vom 2. April ab begann der Schießkursus für die GeschützführerAspiranten. Die beiden ersten Distancen, 200 u. 500 Mtr. wurden von dem Kanonenboot "Fuchs" mit 8 cmtr. Stahlgeschützen geschossen, pro Mann 5 Schuß auf jede Distance. Fester Geschützstand und festes Ziel. Die Scheiben standen auf dem Oldenburger Watt und der Fuchs lag bei Ebbe trocken in der angegebenen Entfernung auf dem Watt. Nachdem diese beiden Distancen geschossen waren, mußten wir etliche Tage schon früh am Morgen, wenn es Ebbe war mit dem "Fuchs" nach dem Watt fahren und so viel als möglich die verschossenen Granaten aufsuchen und aus dem Schlick wühlen, es waren nur blindgeladene Geschosse. Bei dieser Arbeit, da es noch sehr kalt war, hatte ich das Malheur Hände und Füße voller Frostbeulen zu bekommen, wollte mich aber nicht krank melden um den Kursus zu unterbrechen. Mitte April dampfte der Mars nach Schillingrhede im Jadebusen, da die Schießübungen vom Mars aus stattfinden sollten.

3. Das Unglück vom 26. April 1881

 

Am 26. April hatten wir Geschützführer-Aspiranten der II. Division, 26 Mann stark, Geschützschießen mit scharfen Granaten, jedoch nicht nach Scheiben, sondern nur zur Uebung. Zu jedem Geschütz vom 15 cmtr. angefangen, gehörten 14 Mann als Bedienung, welche aus uns 26 Mann bei jedem Geschütz anders vertheilt wurden. Angefangen wurde bei den beiden 15 cmtr, dann die beiden 17 cmtr. Geschütze, jedesmal 3 Schuß. Obermatrose Riewe und ich mußten bei den 4 Geschützen, Riewe die Kartusche, ich, die Granate holen, wir beiden wurden nicht ausgewechselt. Nun brachte es dazumal das Reglement mit sich, daß wenn mit dem Geschütz fertig geschossen war, Geschoß und Kartuschholer das Geschütz aufklaren. Als der zweite 17 cmtr. geschossen hatte, sollte der 21 cmtr. daran kommen. Beim Aufklaren des 17 cmtr. sagte Riewe zu mir: Weißt du, wir halten uns hinter dem Geschütz so lange auf bis die Leute am 21 cmtr. vertheilt sind, laß andere auch mal schleppen. So geschah es, daß am 21. cmtr. eine andere Vertheilung stattfand. Es hatten sich in der Zeit etliche Offiziere, Seekadetten und andere in der Nähe eingefunden um zuzusehen. Wir kamen nun auch hinter dem 17 cmtr. hervor und stellten uns bei die anderen. Das Laden des Geschützes nahm seinen Anfang, der Mann mit der Kartusche stand an der rechten Seite des Geschützes, während der Geschoßholer von links mit der Granate steht. Nummer eins, schraubt die Zündschraube eine und die Geschoßtrage wird übergehakt. Zwischen Zünder und Zündpille steckt ein Vorstecker, ein Stift, welcher verhindert daß Zünder und Pille vorzeitig in Kontakt kommen, er fällt, wenn abgeschossen, durch die Drehung der Granate von selbst heraus. Sechs Mann erfassen den Ansetzer um die Granate mit einem Ruck in den Geschoßraum des Rohres zu schieben. In dem Moment des reinschiebens gab es einen lauten Knall, welchem erst eine lautlose Stille folgte. Dicker Pulverdampf lagerte um uns rum, so daß man den Nebenmann nicht sehen konnte. Das hier ein Unglück passirt, war klar, als sich das Geschrei und Stöhnen von Verletzten hören ließ. Die Granate war beim Ansetzen krepirt, hatte den Ansetzer (von Holz) und Geschoßtrage zerrissen, auch waren die meisten Stücke der Granate wohl nach hinten herausgeflogen. Die Kartusche war ebenfalls explodirt, ich weiß es nicht mehr genau, es müssen 30-40 Pfund Pulver sein, daher der dicke Rauch. Als sich der letztere etwas verzog, sah man erst die Verwüstung. Denen die die Granate einschoben, waren die Hände weggerissen, andere hatten schwere Verletzungen, an Beinen, Ober und Unterleib, einem brannte das Zeug am ganzen Körper, der Mann, dem die Kartusche so zu sagen unter den Händen explodirt war, war sofort todt, erstickt und merkwürdiger Weise fast gar nicht verbrannt. Die beiden Ärzte thaten ihr möglichstes, jedoch starben noch etliche unter ihren Händen. Dieses Unglück forderte 10 Tote und eine ganze Anzahl Verwundete. Was die Ursache war, ist nie geklärt worden, man konnte nur mutmaßen. Unser Schießmeister Obermaat Lange, hielt Riewe und mich gegen Abend an und frug uns beide, wo wir bei der Vertheilung an den 21 cmtr. gesteckt hätten, er hätte uns nicht gesehen, wir bekannten ihm freimütig daß wir hinter dem 17 cmtr. gewesen wären und gaben auch den Grund dazu an. Er gab uns zur Antwort, er hätte uns Kartusche und Granate holen lassen, weil er uns als ruhige Leute kennen gelernt hätte, am 21 und 24 cmtr. hätte er uns beide aber als Nr. 1 u. 2 haben wollen, wir könnten von Glück sprechen. Ich bin zweimal vernommen worden in Betreff der Vorstecker, konnte aber nur aussagen, daß beim Empfang von Granaten der Feuerwerker den betreffenden Vorstecker in die Granate steckte, man mutmaßte wohl, daß ein falscher Vorstecker die Ursache war, da wir mit vier verschiedenen Kaliber schössen. Abends am 26. April lagen wir vor Wilhelmshafen und gaben Tote und Verwundete ans Lazareth ab. Am 29. April fand die Beerdigung der Toten statt. Am 27. April dampfte der Mars wieder nach Schillingrhede um den Schießkurs fort zu setzen auf der Hinfahrt hielt der Kommandant des Mars, Kaptän z. See Graf Haake eine Ansprache an die Mannschaft in dem Sinne, daß wir uns nicht sollten entmuthigen lassen. An diesem Tage sollten die Leute der 3fen Division scharf schießen. Die beiden 15 cmtr. und 17 cmtr. waren durchgeschossen, jetzt kam der 21 cmtr. daran und das tragischte war, bald wäre wieder bei demselben Geschütz ein Unglück passirt. Beim reinschieben der Granate, blieb dieselbe schon im Kartuscheraum des Rohres stecken, zu dick der Bleimantel. Es blieb nichts anderes übrig, als die Granate von vorn nach hinten hinaus zu stoßen, wozu alle möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen wurde. Zwei Mann wurden dazu befohlen und man kann sich ja in der ihren Gedankengang reindenken. Nach einer guten Stunde vorsichtiger Arbeit, wurde die Granate glücklich entfernt. Man muß bedenken, daß 8 Mann das Geschoß fest getrieben hatten und 2 Mann es wieder los machen mußten. Nach dem ich die dritte Distanz geschossen hatte, mußte ich zum Arzt, meine Hände waren voll großer Forstbeulen und aufgebrochen, es ging nicht mehr, ich sollte aber den zweiten Kursus noch mitmachen.

Daten zur SMS Renown und SMS Mars

 

Stapellauf hatte die Renown 1857 in Portsmouth/England und 1872 wurde sie nach Deutschland verkauft. Sie hatte 600 Mann Besatzung und wurde 1892 in Hamburg abgewrackt.

 

Stapellauf hatte die SMS Mars am 15.11.1877 in Wilhelmshaven, sie hatte 348 Mann Besatzung und wurde 1921 abgewrackt.

 

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